
Utopien ihrer Zeit: Literarische Kindheitsentwürfe
Vom Struwwelpeter bis Pippi Langstrumpf
Kindheit – eine Lebensphase, die jeder Mensch individuell für sich bewertet, die aber auch jede Epoche der Geschichte anders definiert. Wie kommt es, dass diese vergleichsweise kurze Lebensspanne heute sorgfältig gesellschaftlich reflektiert und sogar ethisch und ästhetisch aufgewertet wird, während man die „infantia“ im Mittelalter meist ganz selbstverständlich als Vorstufe des Erwachsenendaseins betrachtet hat? Heute scheint die ideologische Entwicklung gegenläufig: Der spanische Philosoph Ortega y Gasset sagte für Europa schon Anfang des 20. Jhs. „ein Stadium der Kindlichkeit” voraus. Der Erwachsene wird vom Standpunkt des Kindes aus bewertet. “Sie sind”, schrieb vor ihm schon Schiller, “was wir waren; sie sind, was wir wieder werden sollen.”
Wie sehr das Bild von Kindheit eingebunden und eingebettet ist in die Ideen seiner Zeit, lässt sich an der Kinderbuchliteratur durch die Jahrhunderte verfolgen. Wie ein Brennglas machen „Des Knaben Wunderhorn“, Grimms Märchen, der Struwwelpeter, Pippi Langstrumpf oder Erich Kästners kleine Helden gesellschaftliche Realitäten und pädagogische Konzepte am literarischen Gegenentwurf sichtbar.
Liegt dem Traum von der Kindlichkeit des Kindes weniger das Kind selbst zugrunde als vielmehr die gesellschaftliche Utopie der jeweiligen Zeit? Welche Kontexte bieten Bücher, die über Jahrhunderte immer wieder und immer weitergelesen wurden und werden?
Die Akademietagung geht diesen Fragen auf wissenschaftlicher Ebene nach.
Text: TMA, Bild: Utopien ihrer Zeit: Walter Trier_Pünktchen und Anton, Emil und die Detektive_Erich Kästner, Struwwelpeter_Struwwelpeter_Museum, Frankfurt a. M., The children’s book of stars (1908); Sei Pippi, nicht Annika, Reisen8, alle auf Wikimedia Commons, gemeinfrei.